Vom Geist der Weihnacht

Der alte Ebenezer Scrooge ist ein
hartherziger Kerl, für den Weihnachten nur Humbug und unnötige
Zeitverschwendung ist. Zeit mit der Familie will er nicht verbringen,
Mitgefühl kennt er nicht und verbreitet stattdessen im
altehrwürdigen London nur Angst und Schrecken. Bis – ja bis er vom
Geist der Weihnacht heimgesucht wird und erkennt, was wirklich
wichtig ist im Leben…. Die Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens
mag zwar mittlerweile gut 170 Jahre alt sein, aber in diesem Jahr
scheint sie aktueller denn je.
 

Gut, im Jahr 2020 heißt der
Weihnachten-verderbende Hauptakteur nicht mehr Scrooge, sondern
Covid-19 und der polternde Geist, der gefangen in den Ketten der
eigenen Fehler erst viel zu spät die Wahrheit erkennt nennt sich
heute nicht Bob Marley, sondern „Querdenker“. Aber die Situation
ist doch ähnlich: alle freuen sich auf Weihnachten und dann grätscht
uns ein Bösewicht dazwischen, legt alles lahm, was wir seit Jahren
kennen und lieben. Er wütet durch die Gassen, überrascht mal laut
schimpfend, mal leise aus dem Hinterhalt und lässt die Menschen
erschaudern. Ein Ekel wie es im Buche steht und auf den ersten Blick
jemand, dem Nichts und Niemand beikommt. Wirklich niemand? Vielleicht
ja doch – wie auch schon bei Dickens – der Geist der Weihnacht.

 
Vom Geist der vergangenen Weihnacht
Wir alle hatten in den vergangen Jahren
unsere Routine, sei es in Bezug auf den Geschenke-Einkauf, das Essen
oder die Zeit mit der Familie. Viel zu oft aber war diese Routine
auch mit Stress besetzt und seien wir mal ehrlich, der Gedanke von
Familie zu Familie zu ziehen, um niemanden an den wichtigsten
Feiertagen des Jahres alleine zu lassen hat vielleicht auch nicht
immer Spaß gemacht. „Müssen wir SCHONWIEDER bei Oma, Opa, Tante,
Onkel, Schwester, Schwager und Cousine vorbei?“ klang es oft
genervt aus dem Mund der Familie. Ja, mussten wir. 
 
Und dann haben wir
ohne zu hinterfragen, ohne zu wissen was wir da wirklich haben
hingenommen, wie es war. Wir haben die intensive Zeit mit der Familie
oft nicht mehr in dem nötigen Rahmen wertgeschätzt und für
„unveränderbar“ hingenommen, was immer war wird immer sein. Wir
haben uns bis zur letzten Minute durch die völlig überfüllten
Innenstädte gedrängt, um dann doch lieber Geld in einen Umschlag zu
stecken, statt diese ganz besondere Vorweihnachtszeit zu genießen.
Weihnachten war nicht unbedingt festlich und nicht an erster Stelle
das Fest der Liebe, sondern das Fest von zu viel Essen, zu vielen
Geschenken und zu viel Stress. Oh du fröhliche.
 
Vom Geist der gegenwärtigen Weihnacht
Kontaktbeschränkungen und Social
Distancing, Zugangskontrollen und schließlich, kurz vor Weihnachten
dann der komplette Lockdown. Der böse Ebenezer Scrooge, ach nein –
der böse Covid hat uns in diesem Jahr das Weihnachtsfest ordentlich
verhagelt. Familien müssen plötzlich genau kalkulieren, ob Oma und
Opa wirklich zum Heiligen Abend dazu kommen dürfen, oder ob die Zahl
der Kontakte schon ausgereizt ist. Wer noch Geschenke brauchte musste
entweder auf Onlineshops umsteigen, oder ratz-fatz auf die Schnelle
noch etwas finden, bevor alles zu machte. Weihnachtsmärkte, Freunde
treffen, Glühwein trinken, gemeinsam Kekse backen, Weihnachtsfeiern
in Büro, Schule & Co – all das musste ausfallen. „Humbug“
würde der alte Scrooge wohl sagen.
 

Und plötzlich stellen wir fest, wie
sehr wir es vermissen werden mit der ganzen Familie unter dem
Tannenbaum zu sitzen, bzw von Feier zu Feier zu ziehen. Wie sehr wir
unsere Routinen vermissen, den Stress vielleicht, die ganze
Vorbereitung, das Last-Minute-Shoppen. Alles, worüber wir uns sonst
vielleicht aufgeregt haben, fehlt uns nun und wir blicken mit
schwerem Herzen auf die Festtage, die in diesem Jahr so ganz anders
verlaufen werden, als wir es gewohnt sind. Was wir tun können? Das
Beste daraus machen, genießen was wir haben und erkennen, dass all
die Jahre mit der Familie gar nicht so nervig, sondern im Grunde ein
Geschenk war. Oh du fröhliche.
 

Vom Geist der zukünftigen Weihnacht

Charles Dickens zeichnet in seiner
Weihnachtsgeschichte eine düstere Zukunft für den kaltherzigen
Scrooge und prophezeit ihm, dass er von niemandem vermisst würde,
wenn er denn weiter so wüte. Und auch den bösen Covid aus unserer
aktuellen Geschichte wird wohl niemand vermissen, wenn er dank
Impfungen, Kontaktbeschränkungen und viel gegenseitiger
Rücksichtnahme irgendwann zurückgedrängt werden kann. 
 

Was wir dann nicht mehr vermissen
müssen ist unser Privileg den Menschen nahe zu sein, die uns wichtig
sind. Zeit zu verbringen mit alle jenen, die uns manchmal nerven und
die wir dennoch von ganzem Herzen lieben. Sie in den Arm zu nehmen
und für sie da zu sein. Wir werden es zu schätzen wissen, wenn wir
bis auf den letzten Drücker Geschenke einkaufen können, wenn der
Tisch mit Essen so reich gedeckt ist, dass wir fast platzen und dass
uns Last Christmas auf wirklich jedem Weihnachtsmarkt
entgegenschallt. Wir werden es nicht mehr für gegeben hinnehmen,
nicht für selbstverständlich, dass wir Weihnachten genauso
verbringen können, wie wir das wollen – jeder auf seine Art, ganz
frei und ohne Vorgaben. Wir werden singen, lachen, Kekse essen und
mit Punsch anstoßen, auf das Leben, die Familie und das kommende
Jahr. Oh du fröhliche!
 
Ebenezer Scrooge wurde vom Geist der
Weihnacht bezwungen und hat erkannt, dass er hier und heute ändern
kann, was ihm die Zukunft bringt und das sollten wir uns zum Vorbild
nehmen. Wir haben es selbst in der Hand, was das kommende Jahr bringt
und wie unser zukünftiges Weihnachten wird. Wir haben es in der
Hand, wie wir mit unseren Mitmenschen umgehen, wie wir ihnen begegnen
und ihnen den Geist der Weihnacht das ganze Jahr über nahe bringen.
Und genau so, mit viel Verständnis und Mitgefühl, mit
Rücksichtnahme und Zusammenhalt können wir diesem fiesen Scrooge –
Entschuldigung, diesen fiesen Covid-19 entgegen treten und den Geist
der Weihnacht in die Welt tragen. 
 
Die Wege der Menschen deuten ein
bestimmtes Ende voraus, auf das sie hinführen, wenn man auf ihnen
beharrt. Aber wenn man von den Wegen abweicht, ändert sich auch das
Ende“
stellt Scrooge fest. Lasst uns also in diesem Jahr
unseren Weg ändern, damit wir die Geschichte gemeinsam zum besseren
wenden. Fröhliche Weihnachten!

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